Der deutsche Künstler und Architekt Hinrich Gross bezieht sich in seinen Arbeiten vor allem auf bestehende Architektur, die er unterschwellig in Frage stellt, wie in seiner Arbeit WIDERSTANDSMOMENT für die Internationale Lichtkunstbiennale EVI LICHTUNGEN 2020 in Hildesheim. Der Begriff Widerstandsmoment stammt aus der Festigkeitslehre und beschreibt den Widerstand, den ein Objekt aufgrund seiner geometrischen Kontur einer Belastung entgegensetzt. In dieser Videoprojektion mit elektronischem Sound überlagert Gross teilweise manipulierte, aber größtenteils unveränderte Bilder der Außenansicht des Bankgebäudes mit der bestehenden Fassade. Durch subtile Verschiebungen entsteht ein Moiré-Effekt zwischen dem projizierten Bild und der physischen Dimension der Betongranulation. Die langsamen Bewegungen der Bilder kippen, drehen, knicken, verzerren, verschieben und zerstören schließlich die Ansichten, fragmentieren sie und setzen sie visuell neu zusammen. Der nüchterne Sichtbetonbau aus den 1970er Jahren hat eine zeittypische, funktionale Fassade. Durch seine ungewöhnliche achteckige Form und die exponierte Lage ist er zu einem Wahrzeichen und damit zu einem wichtigen Gebäude für die Bewohner der Stadt geworden. Das Projekt WIDERSTANDSMOMENT greift diese Situation auf, indem es sich auf das Äußere des Gebäudes, aber auch auf sein Inneres bezieht. Die Projektion bildet eine Einheit mit der Projektionsfläche, die für den Betrachter als Schichtung von Transparenzen und Faltung von wechselnden Ebenen wahrnehmbar ist. Der Film beschäftigt sich auch mit Fragen des Maßstabs und der Materialität von Gebäudeoberflächen und ist auf einer Metaebene auch eine Untersuchung der menschlichen Wahrnehmungskonditionierung. Die bearbeiteten und projizierten Bilder der Fassaden weichen zunehmend vom ursprünglichen Aussehen ab und modulieren die Form des Gebäudes. Die Effektivität der Bildprojektion demonstriert einen langsamen Übergang von der Realität zur virtuellen Realität, ohne das Publikum überraschen zu müssen. Stattdessen lädt die Arbeit dazu ein, den Prozess zu analysieren und zu reflektieren.

Weronika Morawiec, Robert Sochacki: Light As A Creative Tool, Gdańsk, 2021